Hintergrund des Falls: ChatGPT im Bewerbungsverfahren an der TU München
Ein Antragsteller für einen Masterstudiengang an der Technischen Universität München (TUM) reichte in seinem Motivationsessay einen Text ein, der in weiten Teilen von einer künstlichen Intelligenz – konkret ChatGPT – generiert wurde. Die Prüfer an der TUM werteten dies als Täuschungsversuch, da das Essay nicht die persönliche Reflexion und Eigenleistung des Bewerbers widerspiegelte, sondern weitgehend auf fremder Software basierte. In der Folge wurde der Antrag abgelehnt und der Bewerber setzte sich zur Wehr.
Die Entscheidung des VG München (Beschluss v. 28. 11. 2023 – M 3 E 23.4371) ist soweit ersichtlich die erste ihrer Art und setzt Maßstäbe für die Beurteilung von KI-Essays im Bewerbungsverfahren. Sie erfolgte im einstweiligen Rechtsschutz nach § 123 VwGO.
Hochschulische Bewertung: Täuschungsversuch und Anscheinsbeweis
Die TUM stützte ihre Entscheidung auf das Argument, dass ein nicht offengelegter Einsatz von generativer Intelligenz im Auswahlverfahren das Ergebnis unzulässig beeinflusse. Nach § 5 Abs. 2 BayHSchPrüferV gilt eine Prüfungsleistung bei Täuschungshandlungen als nicht erbracht – hier übertragen auf das Eignungsverfahren für den Studiengang. Schon ohne nachgewiesenen Vorsatz liegt nach der objektiven Täuschungstheorie ein Anscheinsbeweis vor, wenn der Text die Handschrift des Antragstellers vermissen lässt.
Viele Studenten sind unsicher, wie sie KI-Tools korrekt einsetzen dürfen und welche Offenlegungen erforderlich sind.
Was ist zulässige KI-Nutzung – und was nicht?
Nicht jede Unterstützung durch Software ist verboten, insbesondere nicht für Rechtschreibkorrektur oder Formatierung in Essays und anderen schriftlichen Arbeiten mit Hilfe von KI-Software. Hilfsmittel wie die Korrektur durch eine Intelligenz-basierte Software können – bei klarer Offenlegung – zulässig sein. Entscheidend ist jedoch:
- Kerninhalt vs. Redaktionelle Hilfe: Wird der Kerninhalt des Essays oder anderer Essays durch ChatGPT geschrieben oder lediglich stilistisch redigiert?
- Transparente Offenlegung: Wurden die eingesetzten Tools und verwendeten Quellen im Antrag genannt?
Fehlt diese Offenlegung, liegt nach vielen Prüfungsordnungen und Auswahlordnungen ein Täuschungsversuch vor, selbst wenn keine bewusste Täuschungsabsicht bestand.
Rechtliche Bewertung: Täuschungsversuch auch ohne Vorsatz?
Es ergeben sich unter anderem folgende Rechtsfragen:
- Muss der gezielte Einsatz einer KI immer offengelegt werden? Viele Hochschulen verlangen das ausdrücklich für Essays und andere schriftliche Bestandteile des Antrags.
- Ist der Ansatz eines Anscheinsbeweises ausreichend? Die objektive Täuschungstheorie besagt, dass es für den Vorwurf nicht zwingend auf subjektive Absicht ankommt, wenn der Eindruck einer Eigenleistung erweckt wird.
- Welche Rolle spielt die Entscheidung? Der Beschluss des VG München stellt die soweit ersichtlich erste gerichtliche Entscheidung zu diesem Thema dar. Das Verwaltungsgericht stellt klar, dass die Verwendung von KI-generierten Inhalten im Rahmen eines Bewerbungsverfahrens – konkret bei einem einzureichenden Essay – als Täuschungsversuch gewertet werden kann. Im vorliegenden Fall führte dies zum Ausschluss vom Masterzugang. Die Entscheidung betont, dass bereits die Vorlage eines mit KI erstellten Essays eine Täuschung darstellt, die zum Verlust des Bewerberstatus führen kann.
Folgen für Hochschulen: Regelungsbedarf zur KI-Nutzung
Der Fall an der TUM macht deutlich: Hochschulen müssen ihre Prüfungs- und Zulassungsordnungen um konkrete Regelungen zur KI-Nutzung ergänzen. Dies betrifft insbesondere:
- Definition, wann und wie KI-Software wie ChatGPT eingesetzt werden darf.
- Festlegung der Offenlegungspflichten im Antrag und in Essays.
- Festlegung eines standardisierten Verfahrens zur Überprüfung eingereichter Texte und verwendeter Quellen.
Auch interne Abläufe müssen auf den Prüfstand. Zur Überprüfung können etwa folgende Fragen gestellt werden:
- Wie wird ein Täuschungsverdacht identifiziert und geprüft?
- Wie erfolgt eine rechtssichere Dokumentation und Kommunikation mit Bewerbern?
- Werden Lehrende und Prüfende für den Umgang mit KI-indizierten Leistungen geschult?
Es genügt nicht, bloß auf Täuschung zu reagieren – Universitäten sollten präventiv klare interne Leitlinien schaffen und Verantwortlichkeiten definieren, etwa durch:
- Einrichtung zentraler KI-Taskforces zur Prozessanpassung
- Schulung interner Gremien zur Beweiswürdigung bei KI-Verdacht
- Integration technischer Prüfmechanismen in das digitale Bewerbungsverfahren
Einige Universitäten haben bereits Leitlinien veröffentlicht, doch eine bundeseinheitliche Regelung fehlt weiterhin. Das führt zu erheblicher Rechtsunsicherheit für Studenten und Hochschulverwaltungen gleichermaßen.
Neben der Überarbeitung der formellen Satzungen sollten auch die operativen und organisatorischen Prozesse innerhalb der Hochschule angepasst werden. Die Koordination zwischen Prüfungsämtern, Zulassungsausschüssen und IT-Abteilungen ist dabei ebenso wichtig wie die regelmäßige Schulung der Entscheidungsträger im Umgang mit KI-indizierten Texten.
Praxistipp für Hochschulen
- Prüfungs- und Zulassungsordnungen ergänzen: KI-Nutzung im Eignungsverfahren klar regeln.
- Leitlinien entwickeln: Wann gelten generative KI-Tools als zulässige Hilfsmittel für Essays und andere Arbeiten?
- Schulungen anbieten: Lehrende und Studierende für Risiken und Grenzen der KI sensibilisieren.
Bedeutung für Unternehmen und Bewerbungsverfahren
Auch außerhalb des Hochschulbereichs, wie zum Beispiel in der Wirtschaft, nehmen Unternehmen die KI-Nutzung in Bewerbungsunterlagen genau unter die Lupe. Immer häufiger werden Lebensläufe, Essays und Arbeitsproben mit Hilfe von ChatGPT erstellt. Arbeitgeber sollten deshalb unter anderem folgendes überprüfen und klarstellen:
- Kommunikation in Stellenausschreibungen: Klare Vorgaben, ob und in welchem Umfang der Einsatz von KI erwünscht oder untersagt ist.
- Digitale Kompetenzen bewerten: KI-Kompetenz kann selbst zum Auswahlkriterium werden, wenn der Einsatz von Intelligenz-Software sinnvoll und transparent erfolgt.
Fazit: Transparenzpflichten und klare Regeln zur KI-Nutzung
Die Entscheidung im Fall an der TU München zeigt, dass Hochschulen, Institutionen und Unternehmen durch die KI-Verordnung ihre internen Prozesse, Prüfungs- und Zulassungsordnungen sowie Leitlinien anpassen müssen und verbindliche Regeln für den Einsatz generativer Intelligenz schaffen müssen. Solange dies fehlt, bewegen sich Antragsteller und Bewerber in einem rechtlichen Graubereich. Eine baldige Klärung durch Verwaltungsgerichte oder gar ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts könnte hier wegweisend sein.
Wer frühzeitig klare Prozesse, Regularien und Zuständigkeiten für den Umgang mit KI in Bewerbungs- und Prüfungsverfahren schafft, kann Rechtssicherheit und Fairness gewährleisten.
Als Kanzlei mit Schwerpunkt IT- und Datenschutzrecht beraten wir Hochschulen, Unternehmen und öffentliche Einrichtungen bei der rechtssicheren Einführung von KI-Anwendungen im Bildungs- und Berufsalltag – praxisnah, fachkundig und zukunftsorientiert.